
von Ingo Klein
Er ist 19 Jahre alt und Muslim, kommt aus Somali, war drei Jahre lang auf der Flucht, und seit dem vergangenen Montag genießt er Kirchenasyl in der Evangelischen Stadtkirchengemeinde Remscheid. Da er völlig erschöpft dort ankam, soll er zunächst zur Ruhe kommen und tritt nicht öffentlich auf. Sein Name wird aus Vorsicht nicht genannt. Der Vater wurde in Somalia ermordet, drei seiner acht Geschwister erhielten Asyl in Europa, die ältere Schwester lebt in Remscheid. Im Alter von 15 Jahren gelang ihm die Flucht vor terroristischen somalischen Milizionären. Er schlug sich auf dem Landweg bis an die nordafrikanische Küste durch und konnte, inzwischen 17 Jahre alt, auf einem der vielen Flüchtlingsboote nach Lampedusa übersetzen. Im italienischen Flüchtlingslager erhielt er 300 Euro und ein Papier, das ihm erlaubte, sich außerhalb des Lagers frei zu bewegen. Er verwendete das Geld, um nach Deutschland zu kommen. In Hessen wurde sein Asylantrag abgelehnt, und er sollte nach Italien abgeschoben werden. Er tauchte unter und versuchte, zu seiner Schwester zu gelangen.
Nach intensiver Beschäftigung mit dem Flüchtlingsschicksal
des jungen Somali war den Presbyterinnen und Presbytern der
Remscheider Stadtkirchengemeinde klar, dass exemplarisch gehandelt werden
musste. Sie boten dem Flüchtling Kirchenasyl: Das beinhaltet Unterstützung und
Betreuung, einen geschützten Raum, auch einen Zeitraum, in dem den
zuständigen Behörden Gelegenheit gegeben werden soll, seine
Geschichte und seine Situation zu betrachten und neu
einzuschätzen. "Das Kirchenasyl ist die Notbremse", sagt Pfarrer
Siegfried Landau von der Stadtkirchengemeinde. Der Kreissynodalvorstand des
Evangelischen Kirchenkreises Lennep unterstützt das einmütige Votum des
Presbyteriums und fordert Asyl für den 19-Jährigen in Deutschland. Die
Landeskirche und die Behörden wurden über das Kirchenasyl informiert.
Gelingen kann es nur im guten Einvernehmen aller Seiten. Etliche Einzelpersonen
und Einrichtungen haben bereits Hilfe für den jungen Somali angeboten.
Pfarrer Martin Rogalla, der Vorsitzende des Presbyteriums
der Remscheider Stadtkirchengemeinde, spricht von "überwältigender
Hilfsbereitschaft und Zustimmung", die ihm begegnet sei. Er versucht,
zusammen mit Pfarrerin Annette Cersovsky und Pfarrer Siegfried Landau ein
Netzwerk der Hilfe zu organisieren, das in gemeinsamer Anstrengung den
Aufenthalt des jungen Gastes förderlich und sinnvoll gestaltet. Dazu gehört
die Verpflegung ebenso wie die medizinische Hilfe, die persönliche
Ansprache ebenso wie die juristische Beratung. Wer selbst helfen möchte, kann
sich gern an einen der drei wenden; Kontaktdaten finden Sie auf: http://www.stadtkirchengemeinde.de/gemeinde/pfarrer-innen Gut
wäre etwa Deutschunterricht, vielleicht spricht ja auch jemand Somali?
Bis August 2015 besteht im Fall des 19-Jährigen eine
Rücknahmeverpflichtung Italiens gemäß dem europäischen Dublin II-Abkommen,
nach dem das jeweilige Einreiseland verantwortlich für Flüchtlinge
ist. Nach diesem Zeitpunkt wären die deutschen Behörden zuständig.
Das Stadtkirchen-Presbyterium hat beschlossen, zunächst bis September 2015
Kirchenasyl für den jungen Mann zu gewähren. Pfarrer Rogalla sieht dessen
Leben in Somalia bedroht und fühlt sich gemeinsam
mit seiner Gemeinde in der christlichen Pflicht, ihm "eine Lebenschance
zu geben". Pfarrerin Cersovsky meint: "Die aus den
Medien bekannten massenhaften Flüchtlingsschicksale bekommen mit
diesem jungen Mann ein Gesicht. Schon jetzt ist bei allen Beteiligten ein
neues Bewusstsein für die Flüchtlings-Thematik entstanden."
Hartmut Demski, der Superintendent des Evangelischen
Kirchenkreises Lennep, erkennt in dem Schicksal des jungen Somali "eine
furchtbar alltägliche Fluchtgeschichte". Das Kirchenasyl ist seiner
Meinung nach keine Lösung für die Flüchtlingsdramen an Europas Grenzen
und in Europa. Er fordert "ernsthafte Bemühungen auf allen Ebenen. Es
muss etwas geschehen. Mehr als bisher schon. Wir können uns angesichts
der Flüchtlingstragödie nicht abseits stellen. Wir versuchen,
diesem einen Menschen zu helfen, wissen aber natürlich um die vielen anderen
Schicksale." Daher engagiert er sich für das erste Kirchenasyl im
Evangelischen Kirchenkreis Lennep. In 15 Kirchengemeinden der
Evangelischen Kirche im Rheinland gibt es zurzeit Kirchenasyl.