"Langzeitarbeitslosigkeit den Nachwuchs entziehen!", hatten die Ratsfraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen sowie die Ratsgruppen von FDP und W.i.R. am 14. April gefordert und diesen gemeinsamen Antrag angekündigt und begründet:
- Die Verwaltung wird gebeten, Gespräche aufnehmen mit dem Ziel, den Ausbildungskonsens zu einem Ausbildungspakt auszuweiten mit der Selbstverpflichtung, die Jugendarbeitslosigkeit innerhalb von zwei Jahren deutlich zu senken. An erster Stelle steht hier der erste Arbeitsmarkt (Qualifizierung). Darüber hinaus müssen auch die Anstrengungen im Bereich des zweiten und dritten Arbeitsmarkts intensiviert werden. Ein Baustein ist hier die Nutzung von Förderprogrammen, wie z.B. das ESF- Bundesprogramm Assistierte Ausbildung.
- Die Stadt Remscheid nimmt Gespräche mit Jobcenter und Arbeitsagentur auf mit dem Ziel der Einrichtung einer Jugendberufsagentur.
Einstimmig wurde dieser Antrag zur endgültigen Beschlussfassung durch den Rat der Stadt am 6. Mai in der vergangenen Woche vom Jugendhilfeausschuss angenommen. Und gestern auch vom Ausschuss für Soziales, Gesundheit und Wohnen. Weitere Fachausschüsse werden folgen.
Zum Hintergrund: Ein flächendeckendes Übergangssystems von der Schule in den Beruf soll künftig, kommunal gesteuert, in den drei Handlungsfeldern Studien- und Berufsorientierung, Übergangssystem und Attraktivitätssteigerung des Dualen Systems möglichst allen Jugendlichen eine verbindliche Ausbildungsperspektive eröffnen. Die Landesinitiative Kein Abschluss ohne Anschluss strebt ein flächendeckendes und präventives Vorgehen in der Berufsorientierung der Schulen der Sekundarstufe I an, um sowohl der Orientierungslosigkeit mancher Schüler als auch dem drohenden Fachkräftemangel der Wirtschaft zu begegnen, schrieb der Waterbölles am 3. März 2014 über die Neue Koordinierungsstelle für Kein Abschluss ohne Anschluss in Remscheid. Als Mitglieder des Lenkungskreises Übergang Schule Beruf/Studium wurden damals u. a. auch die Agentur für Arbeit, der Arbeitgeberverband von Remscheid und Umgebung e.V. , der Deutsche Gewerkschaftsbund, die Industrie- und Handelskammer, das Jobcenter Remscheid und die Kreishandwerkerschaft genannt. Zum dualen Ausbildungssystem stellte der damalige Ausbildungskonsens tendenziell fest, dass immer mehr Jugendliche sehr lange Zeit in den Schulen verbringen und erst sehr spät ins Berufsleben eintreten, ohne dass sie für ihre Zukunft profitieren würden. Darum solle das bewährte duale System mit seinen Chancen für sehr unterschiedliche Talente stärker herausgestellt werden. Um das zu erreichen, müssten alle Akteure intensiver zusammenarbeiten.
Daran scheint es bis heute zu hapern. Sonst hätten die vier Ratsfraktionen bzw. gruppen wohl keine Notwendigkeit gesehen für ihre Forderung, Langzeitarbeitslosigkeit den Nachwuchs zu entziehen. Den Politikern ist eine Diskrepanz unangenehm aufgefallen: Einerseits wird ein Fachkräftemangel beklagt, andererseits aber schrumpft das Angebot an Ausbildungsplätzen. Nun fallen aber zusätzliche Fachkräfte in Handwerk, Gewerbe und Industrie nicht einfach vom Himmel. Die Arbeitgeber müssen sich darum schon auch selbst bemühen. Eine Vermittlerrolle könne dabei die Stadtverwaltung einnehmen, meint die Politik. David Schichel von den Grünen gestern im Sozialausschuss: Der Ausbildungspakt muss weiterentwickelt werden. Mit klaren Zielvorstelllungen. Und entsprechende Gespräche könnte die Verwaltung initiieren!
Christine Kruppe (SPD) sieht Handlungsbedarf bei den Unternehmern angesichts der Tatsache, dass nur jeder fünfte Betrieb in Deutschland selbst ausbilde. Woran das wohl liege? Martin Klebe, Chef der Arbeitsagentur Solingen-Wuppertal, der an der Sitzung teilnahm, konnte sich die geringe Zahl von Ausbildungsplätzen auch nicht erklären. Zwar sei es seiner Arbeitsagentur gelungen, die Jugendarbeitslosigkeit im bergischen Städtedreieck im vergangenen Jahr um 20 Prozent zu senken aber nur mit Hilfe von Qualifizierungsmaßnahmen und Förderangeboten! Echte Ausbildungsplätze kann das nicht ersetzen!
Die Hoffnungen einiger Arbeitgeber, dem Fachkräftemangel durch Einstellung von Flüchtlingen begegnen en zu können, teilt Klebe nicht: Bei all den Sprachproblemen dieser Menschen...! Seiner Meinung nach täten die Unternehmer gut daran, frühzeitig den Kontakt zu jungen Menschen zu suchen und ihre Betriebe für sie zu öffnen, um ihr Interesse an dem einen oder anderen Beruf zu wecken.
Von einer Selbstverpflichtung, die Jugendarbeitslosigkeit innerhalb von zwei Jahren deutlich zu senken, wie im Antrag formuliert, verspricht sich Brigitte Neff-Wetzel von den Linken allerdings wenig. Sie kündigte gestern zur entscheidenden Ratssitzung zu Selbstverpflichtung einen Änderungsantrag an, ohne allerdings den Antrag in der bestehenden Form gleich ablehnen zu wollen. Ähnlich äußerte sich auch Alexander Schmidt (CDU). Seine Randbemerkung: Dass CDU und Linke mal einer Meinung sind...!