In einer beispiellosen Aktion hat die Staatsmacht die wohl radikalste Moschee Deutschlands in Solingen geschlossen. Millatu Ibrahim" gilt als extremistische Gruppe, die den Dschihad unterstützt., berichtet die Tageszeitung Die Welt am 14. Juni 2012. Und am 5. September 2014 macht die Sharia-Polizei aus Wuppertal Schlagzeilen: Radikale Salafisten sind als "Scharia-Polizei" durch Wuppertal gezogen, um Passanten über Verhaltensregeln zu belehren. Jugendliche wollten sie am Discobesuch hindern (ZEIT Online). Etwa ein Dutzend Jugendliche hätten sich in Wuppertal und Solingen dem IS in Syrien angeschlossen, vermutet Wuppertals Sozialdezernent Stefan Kühn. Von Remscheid war in diesem Zusammenhang nicht die Rede. Doch das müsse nicht heißen, dass es nicht auch hier Jugendliche gebe, die sich radikalisiert hätten, meinen die drei Mitarbeiter der Beratungsstelle Wegweiser im Bergischen Land, eine Initiative der Landesregierung, die seit April vergangenen Jahres von Wuppertal aus die Salafisten-Szene im Bergischen Land beobachten. Durch Beratungen von Jugendlichen, Eltern, Lehrern, Sozialarbeiter, Ausbildern etc. wollen sie der Radikalisierung muslimischer bzw. zum Islam übergetretener Jugendlicher vorbeugen .
Die Berater aus dem Bereich der Islamwissenschaft und Sozialpädagogik mit türkischen oder arabischen Sprachkenntnissen verstehen sich als Ansprechpartner (Hotline: 0202-47858913; E-Mail: wegweiser@stadt.wuppertal.de) auch für die lokalen Moscheevereine, Schulen, Multiplikatoren oder Träger der Jugendhilfe. So steht es in dem Flyer, den Amin Benabdessadek am Mittwochabend im großen Sitzungsaal des Remscheider Rathauses verteilte. Der Jugendhilfeausschuss hatte den Barater eingeladen, den Wegweiser vorzustellen. Und dabei kam heraus, dass von engen Kontakten zwischen den Beratern und den Remscheider Moscheevereinen noch keine Rede sein kann. Einer Einladung zu einem Kennenlerngespräch ins Rathaus seien gerade mal drei Moschee-Vertreter gefolgt. Und auch die Kontakte zwischen den Moscheevereinen und der Stadtverwaltung seien eher gering, habe er gehört. Was prompt Widerspruch auslöste: Die Kontakte sind gut!, äußerten sich gleichlautend Oberbürgermeister Burkhard Mast-Weisz, Erden Ankay-Nachtwein, die Vorsitzende des Integrationsrates, und Nihat Murat. Das hänge, wie immer im Leben, von Personen ab, sah Richard Ulrich (Schlawiner) die Situation differenzierter. Tenor: Mal sind die Kontakte gut, mal weniger...
Der religiöse Dialog mit Moscheegemeinden sei wichtig, hatte Innenminister Ralf Jäger am 7. April 2015 bei der Eröffnung der Beratungsstelle betont. "Mir ist besonders wichtig, dass das Programm vor Ort umgesetzt wird! Tatsache ist allerdings: Sehr umtriebig waren die Mitarbeiter der Beratungsstelle Wegweiser in Remscheid bislang noch nicht. Aber: Wenn wir eingeladen werden, kommen wir gerne, betonte Amin Benabdessadek. So zum Beispiel in die Akademie Remscheid.
In der Beratungsstelle in Barmen (Höhne 20) kann jedermann nachfragen, wenn er mit Begriffen wie Islam, Islamismus, Salafismus, Dschihadismus nicht zurechtkommt und sie ihm Angst machen. Oder wenn sich Sohn / Tochter / Neffe /Nichte /( Enkel/in verändert haben. Eine religiöse Neuausrichtung sei allerdings noch keine Radikalisierung, betonte Benabdessadek. Dazu heißt es in dem Flyer: Der Islam ist ein Teil unserer pluralistischen Gesellschaft und gehört gemeinsam mit anderen Religionen und Weltanschauungen zum Alltag in Deutschland. Das Interesse am Islam wächst ebenso in der deutschen Mehrheitsgesellschaft, sodass auch Übertritte zum Islam, besonders unter jungen Menschen, nicht unüblich sind. Aber auch Jugendliche aus muslimischen Familien interessieren sich immer mehr für ihre Religion" und verstehen diese als Teil ihrer persönlichen Identität. In Zeiten innen- und außenpolitischer Ideenkonflikte sowie Facebook und YouTube möchten wir diese Jugendlichen bei ihrer Suche nach Identität, Anerkennung und spirituell-religiöser Erfüllung nicht allein lassen und vor Abhängigkeit und Radikalisierung schützen. Gleichzeitig sollen Eltern, Lehrern und anderen Beteiligten unbegründete Ängste genommen und ein differenziertes Verständnis für den Islam" und die Muslime" vermittelt werden.
"Wegweiser" soll den Einstieg junger Menschen in die gewaltbereite salafistische Szene verhindern. Ein Beispiel: Der 17jährige Hassan fühlt sich in der Schule ausgegrenzt und zieht sich aus fehlender Anerkennung immer mehr zurück. Der Schulabschluss ist gefährdet. Sein vorherrschendes Gefühl: ich habe sowieso nie Erfolg. Die Gesellschaft gibt mir keine Chance. Hassan sondert sich weiter ab. Und genau in dieser Situation locken ihn extremistische Salafisten in ihre Kreise. Sie geben ihm Bestätigung und nehmen ihn als Bruder in ihre Mitte auf. Minister Jäger: Hier müssen wir die jungen Menschen erreichen. Rechtzeitig, bevor sie in die Radikalisierungsfalle geraten!
Die direkte Ansprache gefährdeter Jugendlicher sei allerdings schwierig, räumte Amin Benabdessadek am Mittwoch im Jugendhilfeausschuss ein. Wir können niemanden zwingen, mit uns zu reden. Und ein Gesprächsangebot christlicher Lehrer wird erst recht abgelehnt. Die Radikalisierung beginne meist zuhause am PC und nicht in einer Moschee. Lehrern und Jugendarbeitern riet er, sensibel zu sein. Es sei nicht ausgeschlossen, dass sich Remscheider Jugendliche in ihrem Umfeld gar nicht als Salafisten zu erkennen gäben und den Kontakt zu radikalen Gruppen in Wuppertal oder Solingen suchten. Prävention und frühe, maßgeschneiderte Hilfen für junge Menschen seien wichtig, hatte im April der damalige Wuppertaler Oberbürgermeister Peter Jung betont.
Amin Benabdessadek, Sevdanur Özcan und Elhakam Sukhni, die drei Mitarbeiter der Beratungsstelle Wegweiser im Bergischen Land, werden zur Hälfte vom Land bezahlt, die andere Hälfte zahlen die Städte Remscheid, Solingen und Wuppertal gemeinsam. Die beiden Männer und eine Frau teilen sich zwei Vollzeitstellen, die Verträge sind auf fünf Jahre befristet.