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Channel: Waterbölles - Kommunalpolitik
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Das Wunder von Monheim entzaubert

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Das internationale Chemieunternehmen Oxea feierte am Freitag Richtfest für die neue Unternehmenszentrale. In Monheim werden Anfang kommenden Jahres die Geschäftsführung und die kaufmännischen Zentralfunktionen in das bis dahin für 110 Mitarbeiter fertiggestellte Gebäude im Gewerbepark Rheinpark einziehen. Wenige Tage zuvor berichtete die WELT über Monheim und begab sich auf die Suche nach den Gründen, wie es der Stadt binnen eines Jahrzehntes gelang die Kehrtwende von 120 Millionen Euro Schulden in einen Haushaltsüberschuss von 120 Millionen Euro zu vollziehen. Bundesweit wird über das „Wunder von Monheim“ gesprochen. Wer die Haushaltsentwicklung der 41.000 Einwohner zwischen Düsseldorf und Leverkusen am Rhein gelegene Stadt nachvollzieht, stößt rasch auf den Grund für diese Entwicklung. Sie lässt sich in einem kurzen Jahresvergleich zusammenfassen: 2009 nahm Monheim bei 435 Hebesatzpunkten Gewerbesteuern von 20 Millionen Euro ein. 2014 waren es bei 285 Hebesatzpunkten 215 Millionen. Im aktuellen Haushalt für 2016 sind bei einem Hebesatz von 265 Punkten 235 Millionen Euro veranschlagt.

Die Auswirkungen der Steuersenkungen lassen sich an einem Beispiel erläutern:

Hinzurechnungen und Kürzungen bleiben im Beispiel unberücksichtigt

Einzelunternehmen oder Personengesellschaft

Kapitalgesellschaft

Juristische Person des öffentlichen Rechts

Gewerbeertrag (Beispiel)

100.000 Euro

100.000 Euro

100.000 Euro

Freibetrag

24.500 Euro

0 Euro

5.000 Euro

Verbl. Gewerbeertrag

75.500 Euro

100.000 Euro

95.000 Euro

Gewerbesteuermesszahl

3,5 %

3,5 %

3,5 %

Steuermessbetrag

2.642,50 Euro

3.500 Euro

3.325 Euro

Hebesatz 2009 Gewerbesteuer 2009

ø-Steuersatz

435 %

11.495 Euro

11,49 %

435 %

15.225 Euro

15,22 %

435 %

14.464 Euro

14,46 %

Hebesatz 2014

Gewerbesteuer 2014

ø-Steuersatz

285 %

7.531 Euro

7,53 %

285 %

9.975 Euro

9,97 %

285 %

9.476 Euro

9,47 %

Hebesatz 2016

Gewerbesteuer 2016

ø-Steuersatz

265 %

7.003 Euro

7,00 %

265 %

9.275 Euro

9,27 %

265 %

8.811 Euro

8,81 %

* Dabei ist die Einkommensteuerermäßigung bei Einzelunternehmen oder Personengesellschaften zu berücksichtigen. 2009 beträgt diese im Beispiel 10.041,50 Euro und reduziert den effektiven Steuersatz auf 1,45 %. In den Jahren 2014 und 2016 wird die Gewerbesteuer vollständig ermäßigt, der Steuersatz beträgt 0 %.

„Steuersenkungen führen zu Steuermehreinnahmen“ – so lautet die These des US-Ökonomen Arthur B. Laffer. Der gewählte österreichische Bundespräsident und Wirtschaftswissenschaftler Alexander van der Bellen bezeichnete in einer Nationalratsdebatte die Laffer-These zutreffend als „Voodoo-Ökonomie“. Es gibt keinen Beleg dafür, dass dieser Zusammenhang gilt. Tatsächlich führten umfassende Steuersenkungen die USA und Großbritannien in den 1980-er Jahren zu sinkenden Steuereinnahmen und zu stark steigenden Haushaltsdefiziten.

In der öffentlichen Diskussion wird in Zusammenhang mit Monheim gelegentlich die Laffer-These bemüht und anderen Städten zur Nachahmung empfohlen. Spätestens hier lohnt es sich näher hinzuschauen, welche Auswirkungen die Entwicklung in Monheim auf das Umland gehabt hat. Diese notwendige Betrachtung wird im Monheimer Rathaus ungern gesehen, schließlich erklärt Bürgermeister Daniel Zimmermann: „Wir konkurrieren nicht mit den Nachbarorten, sondern befinden uns in einem internationalen Steuerwettbewerb. (…)Deshalb ist auch der immer wieder zu hörende Vorwurf falsch, wir betrieben unfaires Steuerdumping zulasten der Region.“

Schauen wir genauer hin und kehren wir zurück zur Eingangsbemerkung zum Richtfest für die Unternehmenszentrale der Firma Oxea. Die WAZ meldete am 19. November 2015 „Oxea verlagert Zentrale von Oberhausen nach Monheim“ und führt im Artikel dazu aus: „Ein wichtiger Grund für diese Entscheidung (…): Oxea spart mit der Verlegung der Zentrale nach eigenen Angaben eine Millionen-Summe an Gewerbesteuern. Monheim lockt Unternehmen seit Jahren mit den niedrigsten Gewerbesteuersatz von NRW von bald nur noch 265 Punkten an; Oberhausen berechnet dagegen Betrieben 550 (…)“. Das ist einer der wenigen Fälle, in denen unternehmensseitig offen über den Effekt der Verlagerung des Unternehmenssitzes gesprochen wird. Die Kommunen sind an das Steuergeheimnis gebunden. Sie dürfen selbst gegenüber ihren Stadträten keine erläuternden Angaben zu einzelnen Steuerfällen machen. So kann auch über die finanziellen Folgen der Verlagerung der Patentabteilung des BAYER-Konzerns von Leverkusen nach Monheim auf die städtischen Haushalte nur gemutmaßt werden. Der KÖLNER STADT-ANZEIGER schrieb im Dezember 2015: „Das soll sich extrem gelohnt haben. Sagt jedenfalls Apostolos Tsalastras, der Kämmerer von Oberhausen. Im Gegensatz zu Bayer und zu Monheims Bürgermeister Daniel Zimmermann redet der Herr der leeren Kasse in der Ruhrgebietsstadt Klartext: 30 Millionen Euro Gewerbesteuer hätte Bayer Intellectual Property in Leverkusen zahlen müssen, sagt er. In Monheim sei es wegen des viel niedrigeren Hebesatzes entsprechend weniger gewesen. Bestätigt wird das weder bei Bayer an der Kaiser-Wilhelm-Allee noch im Rathaus von Monheim. Mit Hinweis auf das Steuergeheimnis. Wer es verletzt, begeht eine Straftat.“

Auch konkrete Aussagen über die Folgen der sogenannten Zerlegung der Gewerbesteuer auf mehrere Unternehmensstandorte sind demnach nicht möglich. Die Verteilung sieht vor, dass der Steuermessbetrag anhand des Anteils der Bruttoarbeitslöhne eines Standorts am Gesamtaufkommen der Bruttoarbeitslöhne verteilt wird. Dieses Verfahren führt beispielsweise bei Oxea dazu, dass die Stadt Oberhausen für die dort verbliebenen Unternehmensteile weiterhin Gewerbesteuer erhält – offensichtlich jedoch deutlich weniger. Das ist nachvollziehbar, weil beim Unternehmenssitz regelmäßig hohe Bruttoarbeitslöhne, bspw. im Management, anfallen.

Die Beispiele aus Oberhausen und Leverkusen legen nahe, dass Monheims Entwicklung weitestgehend nicht durch den Zuzug von Unternehmen aus den Nachbarstaaten entstanden ist, sondern aus einem Wettbewerb um Steuersätze in der Region. So räumt Monheims Bürgermeister anlässlich der Einbringung des Haushalts 2016 durchaus ein: „Würden wir solchen Unternehmen kein attraktives Hebesatzangebot in Monheim am Rhein unterbreiten, dann würden diese Firmen wohl kaum in Oberhausen, Hagen oder Duisburg Gewerbesteuersätze hinnehmen, die mit über 500 Punkten fast schon doppelt so hoch sind wie der Monheimer Gewerbesteuersatz. Diese Unternehmen würden in die Niederlande, nach Österreich, Großbritannien oder Irland gehen und dort von Steuersätzen profitieren, mit denen Städte in NRW kaum konkurrieren können.“

In den Ohren der Nachbarn klingen solche Worte wie eine Chuzpe, weil der von Monheim ausgelöste Steuerwettbewerb zu teilweise dramatischen Verwerfungen in den kommunalen Haushalten führt. Während Leverkusen und Oberhausen am Stärkungspakt teilnehmen, um mit Landeshilfe, Steuererhöhungen und Sanierungsmaßnahmen wieder ausgeglichene Haushalte zu erreichen, kann Monheim den Besuch von Kita und Offenen Ganztag beitragsfrei stellen oder das Mittagessen in diesen Einrichtungen bezuschussen. Das führt zu einem gefährlichen Ungleichgewicht in der kommunalen Familie infolge eines Wettbewerbs – bei dem Monheim immer häufiger mit einer Steueroase verglichen wird.

Lohnt es sich, dem Beispiel Monheims zu folgen? Auch diese Frage wird diskutiert, weil die Laffer-Formel von „Steuern senken, mehr Steuern einnehmen“ verführerisch wirkt. In dieser Diskussion gilt es aber kühlen Kopf zu behalten und die Aussichten nüchtern einzuschätzen. Bei einem flächendeckenden Steuersenkungseffekt wird der „Monheim-Effekt“ wie ein Kartenhaus zusammenbrechen. Die entstehenden Haushaltslöcher müssten durch neue Schulden, die Erhöhung anderer Steuern oder weitere Einsparungen gestopft werden. Es wäre der Beginn eines circulus vitiosus – einer Abwärtsspirale – bei dem sich die Lage der Städte weiter verschlechtern.

Was ist zu tun? Die Antwort auf die Finanzprobleme der Städte und Gemeinden sollten weder übermäßige Steuererhöhungen noch übermäßige Steuersenkungen sein. Hier wird der Glaube genährt, die Lösung der Haushaltskrise läge in den Kommunen. Vielmehr ist eine auskömmliche Gemeindefinanzierung von Nöten, die von Bund und Ländern sichergestellt werden muss. Die Forderungen dafür liegen auf dem Tisch. Die kommunalen Spitzenverbände und das bundesweite „Aktionsbündnis für die Würde unserer Städte“ fordern damit ein, was im Grundgesetz unter „gleichwertigen Lebensverhältnissen im Bundesgebiet“ als Verfassungsversprechen abgegeben wird. (Weitere Informationen zum Aktionsbündnis: https://www.muelheim-ruhr.de/cms/aktionsbuendnis_raus_aus_den_schulden.html)


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